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Die Verschärfung des berliner Hochschulgesetzes schadet auch TVStud!

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Liebe Kolleg*innen, liebe Kommiliton*innen, liebe politisch Aktive,

der Berliner Senat plant, die härteste Verschärfung des Hochschulgesetzes seit Jahrzehnten durchzuführen! Unter dem Deckmantel des Diskriminierungs- und Gewaltschutzes wollen CDU und SPD das 2021 unter rot-grün-rot abgeschaffte Ordnungsrecht in verschärfter Form wieder einführen.[1]

Selbstverständlich verurteilen wir politische und menschenfeindliche Gewalttaten von Studierenden auf Kommiliton*innen, wie auch den Angriff auf den jüdischen FU-Studenten Lahav Shapira durch einen Mitstudierenden am Rosenthaler Platz. Doch das vermeintliche Ziel des Senats, die Uni als sicheren Raum ohne Gewalt und Diskriminierung zu gestalten,[2] verfehlt das Gesetz.

Als studentische, gewerkschaftsnahe TVStud Bewegung Berlins schließen wir uns den Statements der Landesastenkonferenz (LAK),[3] der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)[4] und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)[5] an. Auch wir stellen uns entschieden gegen die Wiedereinführung politischer Zwangsexmatrikulationen sowie dieses repressive Gesetzesvorhaben insgesamt. Hier eine kurze Zusammenfassung der von den Organisationen an dem Gesetzesvorhaben geäußerten Kritikpunkte, die wir teilen:

1. Das Gesetz ist scheinheilig und ineffektiv, weil es keines der vordergründig angestrebten Ziele des Gewalt- und Diskriminierungsschutzes erreicht. Es setzt auf Repression statt Prävention.

2. Das Gesetz ist rechtlich bedenklich, weil es uneindeutig formuliert ist und undemokratische Strukturen der Paralleljustiz einführt. Insbesondere der vage Gewalt- und Strafbegriff sowie die Anwendung auch auf Fälle außerhalb der Universität sind höchstproblematisch.

3. Das Gesetz ist politisch gefährlich, weil es politisches Engagement und zivilen Ungehorsam an Universitäten kriminalisiert und die Sicherheit vulnerabler Gruppen riskiert. Es ist ein Einfallstor für eine Entpolitisierung der Universitäten!

Warum wir als TVStud Bewegung gegen die repressive Novellierung des BerlHG sind

Auch wir als TVStud Bewegung haben ein genuines Interesse daran, die verschärfte Wiedereinführung des Ordnungsrechts zu verhindern und stellen uns deshalb entschieden gegen dieses repressive Gesetz! Als 2021 unter dem rot-grün-roten Senat das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) umfassend reformiert wurde, wurde die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Studierende exmatrikuliert werden dürfen, vor allem in der Studierendenschaft heftig diskutiert. Die klare Forderung, die auch die GEW und der DGB vorgebracht haben, war, dass es keine Exmatrikulationen geben darf. Bereits damals ging es vor allem darum, zu vermeiden, dass Studierende exmatrikuliert werden können, wenn sie z.B. mit Aktionen des zivilen Ungehorsams in den „geordneten Hochschulbetrieb“ eingreifen, was auch die TVStud Aktiven in der Kampagne von 2015 bis 2018 permanent gemacht haben.

In der letzten Kampagne um einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte an Berliner Hochschulen und Universitäten wurde in einer ausdauernden Tarifbewegung über drei Jahre hinweg der TVStud III erkämpft. Er beinhaltete – im Verhältnis zur restlichen Bundesrepublik – damals weitreichende Leistungen wie einen Lohn von 12,96€ pro Stunde, 30 Urlaubstage und eine Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten. Das politische Mittel der Wahl, um ihn zu erreichen – der tarifliche Arbeitskampf – bestand strategisch aus „drei verzahnten externen Zieldimensionen – wirtschaftliche[r] Störung, Öffentlichkeit und Politik“.[6] Aufgrund der festgefahrenen Ausgangslage zwischen Arbeitgebenden, Beschäftigten und Politik, konnten die politisch-strategischen Elemente nur im Zusammenspeil funktionieren. Die Wirtschaftliche Störung (also die unmittelbare, kollektive Arbeitsniederlegung mit dem Ziel des Wegfalls universitärer Dienstleistungen wie Tutorien und Verwaltung) war nur ein Aspekt des Streiks von SHKs an den Berliner Hochschulen. Damit wurden im Zweifel nur Vorgesetzte und Professor*innen erreicht, die Verwaltung und die Präsidien konnten die Beschäftigten und ihre Forderungen, zumindest kurzfristig, schlicht ignorieren. Zudem konnte der bis dahin bestehende Tarifvertrag (TVStud II) aus strategischen Gründen erst Ende 2017 gekündigt werden, wodurch es anfangs nicht möglich war, zu streiken. Deshalb entschieden sich die Aktiven der Kampagne, ab Juni 2017 systematisch repräsentative Hochschulveranstaltungen der Präsidien zu stören und dabei ihren Forderungen nach mehr Lohn, Entlastung und sichereren Arbeitsverhältnissen wortwörtlich Raum zu machen. So trafen die Störaktionen etwa den ASH-Rektor Uwe Bettig beim Hochschultag, den TU-Präsidenten Christian Thomsen bei der Eröffnung des MINT-Gipfels im Audimax, den neuen TU-Kanzler Mathias Neukirchen bei seiner Wahl während der Kuratoriumssitzung und die HU-Präsidentin Sabine Kunst bei der Feier des 250. Geburtstags Wilhelm von Humboldts. Zudem wurde bei der Langen Nacht der Wissenschaft 2017 das Grimm Zentrum blockiert und die Eröffnungsrede des Bürgermeisters und Wissenschaftssenators Michael Müller im FU-Audimax gestört. Als sich nach einem Jahr „Verhandlungslimbo“[7] auf Arbeitgeberseite noch nichts getan hatte, sah sich die TVStud Bewegung gezwungen, „so leid es uns tat“,[8] die Auftakt- und Abschlussveranstaltung der Langen Nacht der Wissenschaften 2018 mit jeweils über 1000 Teilnehmenden zu sprengen.

In der Vorbereitung auf den „Megastreik“ 2018 und währenddessen eskalierte die TVStud Bewegung die festgefahrene Situation an den Hochschulen und in den Präsidien strategisch, worauf die Unileitungen systematisch mit Repressionen antworteten. Am Ende der dritten TVStud Demo im Frühjahr 2018 besetzten Aktive das Adimax der TU, welches auf Anweisung des TU-Präsidiums umgehend durch die Polizei geräumt wurde. Bereits 2017 rief das TU-Präsidium die Polizei zu einer geplanten Kundgebung von TVStud anlässlich der Queen’s Lecture. Die Bewegung hat die Eskalationen explizit als politische Strategie genutzt, denn letztlich musste vor allem der Senat als politischer Akteur angesprochen werden, um die Hochschulen zu beeinflussen: „Da Politiker*innen sich gerne in der Lösung von Problemen profilieren, mussten wir selbst zum Problem werden.“[9] Die Eskalationen und Streiks im Sommer 2018 erzeugten eine Situation, in der der Wissenschaftssenat eingreifen musste, um den öffentlichen Ruf des Wissenschaftsstandorts Berlin nicht gefährdet zu sehen. TVStud suchte zwar bereits 2016 den Kontakt zum Senat, doch erst die Mischung aus Aktion, Streik und Eskalation wirkte zu unseren Gunsten. Auch nach dem Eingriff des Senats im Juni 2018 mussten die Aktionen weitergeführt werden, um den Druck auf Politik und Arbeitgeber zu halten und als Bewegung relevant zu bleiben. Die Leistung der TVStud Kampagne von 2015 bis 2018 besteht zusammengefasst darin, sich in ausdauernden Aktionen Räume anzueignen, sich zu regenerieren und Wirksamkeit zu erreichen: „Hier konnten wir Ungehorsam trainieren, eine Gemeinschaft entwickeln, neue Leute integrieren, unsere Positionen in größeren Gruppen abgleichen, zusammen Wut entwickeln, indem man sich in einem Gremium von Hochschulfunktionären gemeinsam unfair behandeln lässt und auch Kräfte regenerieren in hedonistischen Veranstaltungen. Manche Aktionen dienten ganz direkt dazu, uns Platz und Ressourcen zu nehmen. Etwa wenn Streikbüros aus studentischen Räumen auf universitäre Flächen zogen und schließlich Hörsäle angeeignet wurden oder wenn wir universitäre Veranstaltungen als Plattformen nutzten.“[10]

Die Erfahrungen der TVStud III Kampagne zeigen, dass ungehorsamer Protest legitim und notwendig ist, um materielle Verbesserungen für die von uns vertretene Gruppe der studentischen Beschäftigten zu erkämpfen. Insbesondere in Zeiten, in denen die Herrschenden, wie der Berliner Senat, die Universitätspräsidien oder die Arbeitgebenden, ihre Subjekte, wie uns studentische Beschäftigte und Studierende insgesamt, verstärkt ausbeuten oder unterdrücken, sind politische Protestaktionen zivilen Ungehorsams wichtiger denn je. Dass mit dem neuen Berliner Hochschulgesetz zukünftig auch als Ordnungsverstoß gelten soll, wenn man „Einrichtungen der Hochschule zu strafbaren Handlungen nutzt oder zu nutzen versucht“[11] (eine Maßnahme, die bis 2021 NICHT Teil des BerlHG war!), ist ein Schlag ins Gesicht für jede emanzipatorische, politische Bewegung Studierender, die an Hochschulen aktiv ist! Hätte es dieses Gesetz bereits 2018 in dieser verschärften Form gegeben, so hätten es wahrscheinlich auch unsere bei TVStud aktiven Kolleg*innen und Kommiliton*innen als Antwort auf ihre zahlreichen Störungen und Hörsaalbesetzungen zu spüren bekommen. Unsere strategische Dreigleisigkeit von Aktion, Streik und Eskalation hätte repressiv unterbunden werden können, indem zentrale Akteur*innen mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen abgestraft worden wären, was weitere Aktionen nahezu verunmöglicht hätte und die Bewegung als Ganze geschwächt hätte. Im Zweifel hätten wir einen schwächeren Tarifvertrag erkämpft – oder überhaupt keinen – und würden nun noch prekärer leben als ohnehin schon.

Vor allem in der aktuellen Situation multipler Krisen (insbesondere die Inflation trifft viele von uns SHKs hart) müssen wir wegen dieses Gesetzes um unsere Rechte als studentische Arbeitnehmende und damit um unsere Existenzgrundlage fürchten! Derzeit verhandeln wir mit den Arbeitgebervertretern der Berliner Hochschulen und Universitäten über die Übertragung der bescheidenen Ergebnisse der TV-L Runde (Tarifvertrag der Länder) vergangenen Herbst auf uns TVStud III Beschäftigte, da die (prozentualen und hoffentlich auch die absoluten) Lohnerhöhungen im TV-L anteilig auf uns TVStud III Beschäftigte übertragen werden. So war die letzte TVStud Streikbewegung im Wintersemester 23/24 relativ stark in das Spiel der öffentlichen Tarifverträge, bestehend aus Friedenspflicht, Streik und Lohnerhöhung, eingehegt. Doch die Zukunft sieht weniger rosig aus: Wir erleben derzeit die konservativste Berliner Landesregierung seit 2016 und allenthalben erzählen Regierungspolitiker von Landes- und Bundeseben die Mär der sogenannten ‚angespannten Haushaltslage‘. Angesichts der zahlreichen sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen unserer Zeit und einem milliardenschweren Investitionsstau in öffentliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge ist das geradezu grotesk! Eine mögliche zukünftige Tarifbewegung um einen TVStud IV hätte es demnach enorm schwer, wieder radikaler zu werden: Einerseits wäre es aufgrund von Inflation, Armut und Prekarität nötiger denn je, einen starken Tarifabschluss zu erzielen, andererseits wäre eine effektive, dreigleisige Strategie von Streik, Aktion und Eskalation mit einem repressiven Ordnungsrecht nahezu unmöglich. Dieser Gesetzesentwurf stellt faktisch eine weitere Repressionsstufe im deutschen Streikrecht dar – politische Streiks sind im Nationalsozialismus illegalisiert und in der jungen BRD durch höchstrichterliche Urteile eines ehemaligen NS-Richters weitergeführt worden. Der rechtlichen Möglichkeit, die politischen, ungehorsamen Aspekte von Streiks an Hochschulen unterbinden zu können, stellen wir uns entschieden entgegen!

Deshalb sind wir solidarisch mit der Initiative „Hands off Student Rights: Kampagne gegen Zwangsexmatrikulation“[12] und ihrem Anliegen, die repressive und antidemokratische Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes zu verhindern. Egal, ob Klimabewegung, Pro-Palästina-Bündnis, Gewerkschaftsbewegung, antifaschistisches Bündnis oder linke Hochschulgruppe: Die Möglichkeit politischer Zwangsexmatrikulation aufgrund von zivilem Ungehorsam oder anderen Aktionen, die den geregelten Ablauf der Universitäten stören, betrifft alle, die aktuell politische aktiv sind oder es zukünftig werden wollen!

Unsere Forderungen

1. Das neue Hochschulgesetz darf nicht verabschiedet werden, da es in seiner repressiven Form die Grundrechte der Ausbildungs- und Berufsfreiheit einschränkt und die Hochschulen entpolitisiert! Wir kritisieren insbesondere den vagen Gewalt- und Strafbegriff sowie die Einrichtung einer Paralleljustiz.

2. Wenn es dem Senat wirklich daran gelegen ist, Gewalttaten und Diskriminierung anzugehen, müssen Präventionsstrukturen wie Antidiskriminierungsstellen gestärkt werden! Eine universitätsinterne Paralleljustiz darf nicht etabliert werden, dafür gibt es Gerichte. Wir fordern Prävention statt Repression!

3. Solange keine Menschen gefährdet werden, muss politischer Protest – auch ungehorsamer – und damit die Meinungsfreiheit an Universitäten möglich bleiben! Wir wehren uns gegen die Einschränkung unserer Grundrechte.

Wir sagen: Hands off Student Rights! Students united will never be defeated!

TVStud Berlin, 30.05.2024


[1] Vorlage – zur Beschlussfassung – über Siebzehntes Gesetz zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes (17. BerlHG-ÄnderungsG), 02.04.2024, unter: https://www.parlament-berlin.de/ados/19/IIIPlen/vorgang/d19-1572.pdf.

[2] 17. BerlHG-ÄnderungsG vom 02.04.2024, S. 1.

[3] Stellungnahme der Landesastenkonferenz (LAK) zur 17. BerlHG Novelle: Gegen die Wiedereinführung des Ordnungsrechts! 12.03.2024, unter: http://refrat.de/docs/hopo/LAK_Statement_zur_17_BerlHG_Novelle.pdf.

[4] Hochschulen sind keine Gerichte – GEW befürchtet Kriminalisierung studentischer Proteste durch Änderung des Berliner Hochschulgesetzes, 04.04.2024, unter: https://www.gew-berlin.de/presse/detailseite/hochschulen-sind-keine-gerichte-gew-befuerchtet-kriminalisierung-studentischer-proteste-durch-aenderung-des-berliner-hochschulgesetzes.

[5] Hilft Betroffenen nicht und ist ein hochschulpolitischer Rückschritt – ver.di lehnt Einführung von Ordnungsrecht an Berliner Hochschulen ab, 29.03.2024, unter: https://bb.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++1c850240-edac-11ee-9a09-250f18786d9a.

[6] Dieses Zitat sowie die folgenden Ausführungen zur Tarifkampagne um TVStud III basieren auf dem Beitrag Kapitel 7: Arbeitskampf: Aktion, Eskalation, Wirkung von Benjamin Bisping aus dem Sammelband der damaligen TV Stud Bewegung »Ohne uns läuft hier nix!« Der Arbeitskampf der studentischen Beschäftigten in Berlin (VSA, 2019), S. 44-53, hier S. 45.

[7] Bisping 2019: 51.

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Bisping 2019: 53.

[11] 17. BerlHG-ÄnderungsG vom 02.04.2024, § 16 Absatz 1 Satz 3.

[12] https://www.instagram.com/handsoffstudentrights/